Chronik der Kirchengemeinde Thierenberg

Chronik der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Thierenberg Kreis Samland / Ostpreußen, vom 1.11.1926 bis 1947

Am 1.11.1926 trat Pfarrer Rudolf Strauss nach 38 Jahren gesegneter Tätigkeit in den Ruhestand. Gemeindekirchenrat und Gemeindevertretung wählten nahezu einstimmig den damaligen Kreissynodalvikar in Neukirch-Elchniederung, Richard Pauluk, geb 12.5.1901 in Königsberg, zu seinem Nachfolger. Nach Bestätigung des Kreissynodalvorstandes und des Ev. Konsistoriums in Königsberg wurde Richard Pauluk am 16.1.1927 durch Superintendent Georg Künstler und Konsistorialrat Anckermann, Königsberg, und Pfarrer i.R. Strauss als Pfarrer in sein Amt in Thierenberg eingeführt. Er hielt seine Antrittspredigt über Röm. 1, Vers 16-18. Richard Pauluk heiratete am 12.5.1927 die Pfarrerstochter Hildegard Bode aus Alsbach im Westerwald.

Im selben Jahr wurde zu dem schon lange bestehenden Jungmädchenverein der ev. Jungmännerverein Thierenberg unter Vorsitz von Wilhelm Busse – seit 1943 in Italien bei den Kämpfen um Sizilien vermißt – gegründet, dem 1929 der Posaunenchor folgte. Nach 1933 wurde die kirchliche Jugendarbeit ohne Vereinsform als kirchliches Jugendwerk weitergeführt.

Unter Beisein von Kosistorialrat Anckermann wurde 1928 die neue acht Zentner schwere Bronzeglocke (Beschaffungspreis 3000 RM) gweiht. Sie war von den Gemeindemitgliedern gestiftet und trug den Namen des Pfarrers und der Kirchenältesten: Otto Blumenthal, Romehnen, August Mörke, Norgau, Ernst Marquardt, Drugthenen, und Herrmann Jophien, Klein Dirschkeim. Diese Glocke wurde 1940 feierlich in einem Gottedienst von der Gemeinde verabschiedet, da sie zu Kriegszwecken abgeliefert werden mußte.

1929 beschaffte die Gemeinde einen Leichenwagen und den Abstellraum dazu. In diesem Jahr trafen sich in Thierenberg die ev. Jungmännervereine des Samlandes unter Vorsitz des Kreisjugendpfarrers Heck-Laptau

1930 fand in der Gemeinde der Ostpreußen-Dorfkirchentag unter Leitung von Superintendent Doskozil, Labiau, und Ob.-Konsistorialrat Schaumann und Sup.-Lic. Hanne, beide Königsberg, statt.

1931 Wurde Pfarrer Pauluk im Nebenamt zum Siedlungspfarrer der Provinz Ostpreußen berufen und in seiner Thierenberger Gemeindearbeit durch Vikare unterstützt. In diesem Jahr trat der langjährige treue Küster und Schuhmachermeister Franz Schöffski in den Ruhestand und Herr Fritz Schröder, Schneider in Thierenberg mit seiner Ehefrau wurde in vielseitigem Dienst als Küster und Friedhofsverwalter sein Nachfolger.

Anläßlich des 80. Geburtstages von Pfarrer Strauss wurde dieser unter Zustimmung des Kreisauschusses Fischhausen zum Ehrenbürger gewählt. In diesem Jahr trat der altbewährte Lehrer und Organist Emil Kern aus Thierenberg nach jahrzehntelanger Tätigkeit in den wohlverdienten Ruhestand. Er wurde feierlich verabschiedet. Mit der Leitung des Kirchenchores und der Einführung der Choralmelodien des deutschen evangelischen Einheitsgesangbuches hatte er sich bleibende Verdienste erworben.

1933 übernahm die Kirchengemeinde nach freiwilliger Selbstauflösung des Ortsvereins des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz die von diesem bisher unterhaltene Schwesternstation und gründete als ihre Trägerin die Evangelische Frauenhilfe.

Pfarrer Pauluk übernahm 1934 den Vorsitz im Ostpreußischen und Deutschen Dorfkirchenverband und wurde als leitender Mitarbeiter des Deutschen Ev. Männerwerkes, Abteilung Bauern- und Landgemeinden, in Königsberg und Berlin berufen. Er wurde gleichzeitig Mitglied des Hauptausschusses der Inneren Mission der Deutschen Evangelischen Kirche.

In diesem Jahr wurde der Thierenberger Gemeindegottesdienst am Himmelfahrtsfest durch Übertragung des ostpreußischen Rundfunks einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Von 1934 bis 1936 fand unter der Leitung des Staatshochbauamtes Königsberg, Reg.-Baurat Stachowitz, mit einem Kostenaufwand von 36000 RM eine gründliche Wiederherstellung der alten 1270 bis 1350 erbauten Ordenskirche statt. Die Sakristei wurde zu einem Gemeinderaum für kirchlichen Unterricht und Versammlungen erweitert und die Kirche selbst mit einer elektrischen Heizung versehen.

Die Neuweihe der Ordenskirche Thierenberg am 16. Juni 1936 wurde durch Pfarrer Theodor Küssner, Lötzen, und Konsistorialrat Weder, Königsberg, und unter dem Superintendenten Anckermann, Fischhausen, vollzogen.

Die Arbeit der inzwischen aufgelösten kirchlichen Gemeindevertretung wurde vom Ev. Männerwerk unter Vorsitz vom Kirchenältesten Trunz übernommen und ausgeführt.

Am 26. August 1939 wurde Pfarrer Pauluk zum Wehrdienst einberufen und im Juli 1944 schwer wehrdienstbeschädigt aus ihr entlassen. Die Vertretung des Pfarramtes hatte bis 1942 Pfarrer Knoblauch aus Kumehnen. Danach hielten Geistliche aus Königsberg Gottesdienst und Amtshandlungen. Die Geschäfte des Gemeindekirchenrates führte ab September 1939 bis zu seinem Tode der stellvertretende Vorsitzende Albert Trunz, Arrisau. Die Pfarrfrau Hilde Pauluk war unter Übernahme des gesamten kirchlichen Unterrichts und Kindergottesdienstes seit dem 1. September 1939 bis 29. Januar 1945 als Lektorin, Pfarrgehilfin, Organistin und Rendantin der kirchlichen Kasse unter Zustimmung der kirchlichen Aufsichtsbehörden nach Einführung des Superintendenten tätig. Die beiden letzten Gottesdienste am 14. und 21. januar 1945 hielt trotz Krankheitsbehinderung Pfarrer Pauluk über Röm. 12, 1-6. Röm. 12, 7-16.

Am 29. Januar 1945 erging der Räumungsbefehl an die Einwohner des Kirchspiels. Am 1. Februar wurde Thierenberg nach harten Kämpfen von den angreifenden Russen erobert und am 6. Februar nach schweren Kämpfen um die schwerbeschädigte Kirche von den Deutschen zurückgewonnen. Es fand in ihr noch eine Feier für die im Kampf gefallenen und ein Dankgottesdienst bei Benutzung der unter Denkmalschutz stehenden 25 Zentner schweren Bronzeglocke „Magarethe“ und der Orgel statt. Am 14. April fiel das gesamte Kirchspiel in russische Hände. Von Gemeindemitgliedern, die in Thierenberg verblieben waren, wurde 1946 die Kirche als zerstört und völlig unbrauchbar gemeldet. Sämtliche Pfarrgebäude waren bereits im Februar 1945 ein Raub der Flammen geworden.

Entgegen dem ergangenen Räumungsbefehl verblieben viele Gemeindemitglieder in der Heimat. Die überwiegende Mehrzahl der Landarbeiterschaft, Beamten, Siedler, Bauern und Großgrundbesitzer gehörten zu den Zurückgebliebenen. Der Tod hat unter ihnen eine große Ernte gehalten und viele dahingerafft. Die Daheimgebliebenen berichteten 1945-47 von mancherlei Not, Krankheit, Hunger, vom Elend der Alten und Gebrechlichen und von der Verwahrlosung der Jugend.

Der bei seiner Palmnicker Gemeinde verbliebene Pfarrer Jänicke hat sich in aufopfernder Weise auch der Thierenberger Gemeindemitglieder herzlich angenommen. Er hat Gottesdienste in Germau, Heiligenkreutz, alle anderen Amtshandlungen, wie Unterricht, Taufen, Beerdigungen vollzogen und viele haben uns geschrieben: „Pfarrer Jänicke und seine Frau haben viel für uns getan, durch Gottes Wort hat er uns immer wieder Trost und Hoffnung gegeben.“ Erst 1947 wurde er mit seinen Gemeindemitgliedern nach Berlin abtransportiert. Die Zahl der Gefallenen hat die des 1.Weltkrieges weit überschritten.

Am 23.März 1945 hat Pfarrer Richard Pauluk seinen ständigen Wohnsitz bis zu seinem Tod 1953 in Hamburg-Rissen genommen. er wurde wegen seines Leidens ab 1.Mai 1946 in den Ruhestand versetzt.

Mit der Kirchengemeinde eng verbunden war der Pfarrhufenpächter Otto Trunz, der über ein Menschenalter das Thierenberger Pfarrland als sorgfältiger Landwirt gewissenhaft bewirtschaftet hat. Mit seiner Familie war er nicht nur ein treuer Kirchgänger, sondern gehörte auch jahrelang der kirchlichen Gemeindevertretung an. Stets hat er die Arbeit der Kirchengemeinde mit Rat und Tat unterstützt. Im Oktober 1947 befand er sich noch mit Tochter und Enkel im Flüchtlingslager in Dänemark, wo er später verstarb.

Seit 1927 waren in der Kirchengemeinde folgende Gemeindeschwestern, die dem Verband der Evangelischen Frauenhilfe Königsberg angeschlossen waren tätig: Gertrud Stahl, später Frau Hauptlehrer Solty, Schwester Hanna Tautkus und Schwester Emma Nathan, beide heute noch arbeitend in der Ostzone. Die besondere Liebe der Gemeinde galt der Arbeit der Ostpreußischen Inneren Mission. Von 1927 bis 1944 wurde jährlich nach Einbringung der Ernte für ihre Arbeit und den Unterhalt der Schwesternstation ein Dankopfer gespendet, das jeweils in seiner Höhe unter den ostpreußischen Kirchengemeinden an führender Stelle stand. Mit dem Heim der Inneren Mission für gefährdete Mädchen „Haus Friedenshöhe“, Thierenberg, stand die Kirchengemeinde in einem lebendigen, vertrauensvollen und ungetrübten Arbeitsverhältnis, besonders mit den dort wirkenden Schwestern Magdalene Usinger, Schwester Sofie Flammer und Schwester Maria Krug.

Die Kirchenältesten Ernst Godau, Cojehnen, Ernst Marquardt und Emil Sudau sind gestorben bzw. in der Heimat umgekommen. Franz Niemann, Cojehnen, lebt in Württemberg mit seiner Familie.

Der letzte Pfarrkonvent fand im Dezember 1944 in Königsberg statt. Der Gemeindekirchenrat hatte die letzte Sitzung ebenfalls im Dezember 1944 und faßte Beschlüsse über das kirchliche Vermögen und über die Wegschaffung der Kirchenbücher.

Seit 1927 haben Gemeindekirchenrat und Gemeindevertretung in immer beschlußfähigen Sitzungen mit verantwortungsvoller Arbeitsfreudigkeit die Anliegen der Kirchengemeinde vertreten. Das den Gemeindekirchenrat bewegende Ziel, die Gemeinde durch die Bedrohungen des Dritten Reiches ungefährdet hindurchzuführen, ihr die Predigt des Evangeliums und die Weiterführung des krichlichen Unterrichts, der Männer-, Frauen- und Jugendarbeit und des Werkes der Schwesternstation zu erhalten, ist durch Gottes Gnade und die Treue der Gemeindemitglieder bis zur Vertreibung erreicht worden.

Es sind 23 Jahre seit dem Verlassen der ostpreußischen Heimat vergangen. Schwere Jahre liegen hinter uns, viele haben Fuß in der neuen Heimat gefaßt, viele werden die Erinnerung an die alte Heimat nicht mehr los. So möge dieser schlichte Bericht über unsere Kirchengemeinde den lieben Thierenbergern eine Freude sein. er ist in seinen Grundzügen noch von Pfarrer Pauluk aufgezeichnet.

Hilde Pauluk, Pfarrfrau von Thierenberg

Aus dem Heimatbrief „Unser schönes Samland“ 18.Folge Juni 1968