Ein Bericht über die letzten Abwehrkämpfe um Norgau im April 1945

Die Kämpfe um Norgau

 

Über die Abwehrkräfte im Raum Norgau berichtet der Chronist der 511. Tigerabteilung. Folgen wir seinem Bericht.

Am Abend des 12.4.45 wurden die Panzermotoren angelassen. Mit gedrosselten Motoren rollten die Tiger in die Nacht hinein, den befohlenen Abwehrräumen entgegen. Obt. Rinke und Fw. Kerscher hatten den gleichen Anmarschweg. Jeder hatte noch einen weiteren Tiger bei sich. Beim Straßendreieck am Bahnhof Thierenberg mit den Höhen 53, 55, und 71 sicherte der Chef mit seinem Begleitpanzer. Kerscher rollte mit seinem zweiten Wagen nach rechts, um das Höhengelände im Dreieck Klein Norgau – Norgau – Pojerstieten zu erreichen. Uffz. Baresch war hier Komanndant des zweiten Tigerpanzers. An der Straßenkreuzung verabschiedeten sich die Kampfgefährten. Dann waren beide Gruppen auf sich selbst gestellt.

Im Morgengrauen des 13.4. sahen die beiden KGr. Führer, dass sie ihre Positionen bestmöglich gewählt hatten. Von hier aus konnten sie das Vorfeld weit einsehen und jeden herankommenden Panzer rechtzeitig unter Feuer nehmen.Die letzte Schlacht begann mit einem feindlichen Trommelfeuer von unvorstellbarem Ausmass. Die Ladeschützen hatten sich bereits einen Stapel Panzergranaten bereitgelegt. Dann sprang das Feindfeuer zurück. nun muste der Angriff erfolgen.

Als die Sicht frei wurde, sahen die Panzerkommandanten zahlreiche schwere und schwerste Kampfwagen einer gemischten Panzerbrigade. Erst wenn diese Panzer jenen Hang hinunterrollten, bestand die Chance, sie alle zu vernichten.Jetzt rollten sie hügelabwärts. Ihre Kanonen konnten die deutschen Panzer nicht mehr erreichen. Feuer frei, befahl Kerscher, als die ersten Panzer des Gegners die Senke erreichten.

Als auf einer Fläche von 500 bis 800 m nur Feindpanzer zu sehen waren, begann der ungleiche Kampf. Beide Tiger schossen in Sekundenschnelle Granate auf Granate aus den Rohren. Das überraschende Vernichtungsfeuer zeigte bereits nach wenigen Minuten eine verheerende Wirkung. Mehr als 20 brennende und explodierende Russenpanzer raubten ihren noch intakten Kameraden jede Übersicht und Vernunft. Sie ahnten nicht, dass ihnen hier nur zwei Tiger gegenüberstanden.

Selbst die neuen russischen Sturmgeschütze SU 100, die in einer Hinterhangstellung den Feuerschutz für ihre angreifenden Kameraden übernehmen sollten, wusten nicht, wer da vor ihren Augen und von wem abgeschossen wurde. Erst als die letzten Feindpanzer das Weite suchten, war die deutsche Abwehrstellung erkannt. Nun wollten die Sturmgeschütze die Panzer aufs Korn nehmen. Da sie aber keinen drehbaren Turm besassen, kurvten sie umständlich hin und her, um ihre 10 cm-Kanonen auf die Tiger zu richten. Kerschers Richtschütze, Uffz. Schmidt, liess es nicht soweit kommen. Wieder schoß er rasch. Leider erwies sich die Bugpanzerung der Sturmgeschütze also so stark, dass die erzielten Treffer keine Wirkung zu haben schienen.

Dennoch räumten die Sturmgeschütze das Gefechtsfeld. Damit war der erste russische Panzerangriff unter hohen Verlusten für den Angreifer abgeschlagen worden. Da Bareschs Waffe defekt war, musst er zurück. Er übergab Kerscher die restliche Munition. Kerscher unternahm einen Stellungswechsel und rollte bis zur Höhe eines Erdwalles vor, der parallel zur Straße nach Norgau verlief. Von hier aus schoss Schmidt einen Panzer ab.Nunmehr übernahm Kerscher die Initiative. Langsam rollte er zum Dorf. Plötzlich stand auf der hier quer vor dem deutschen Kampfwagen verlaufenden Straße eine eng aufgefahrene russische Panzerkolonne. Nur der freie Dorfplatz trennte sie noch von Kerschers Tiger.

Schmidt schwenkte die Kanone nach rechts zum letzten Feindpanzer. Kerscher wies die Besatzung ein. Er begann die Feindpanzer zu zählen. Bei 15 angelangt, schlug Schmidts erste Grannate in den letzten Feindpanzer. Schnell und präzise lief das Werk der Vernichtung. Keiner der Feindpanzer kam zum Schuss. Aus kurzer Distanz war jeder Schuss des Tigers das Todesurteil für den anvisierten Gegner. Als russische Soldaten auftauchten und dann noch Soldaten in deutschen Uniformen, die als Wanderer erkannt wurden, liess Kerscher zurückrollen.

Als am Abend ein Major zu Kerschers Wagen kam und ihm berichtete, dass der Gegner neuerlich Panzer in Norgau bereitstellte, fuhren Kerscher und Weigand sofort vor. Sie schossen fünf der bereits angeschlagenen und wieder flottgemachten Feindpanzer ab, die noch auf der Dorfstraße standen. Dann wies der Major sie ein und zeigte ihnen die Sturmgeschütze vom Morgen. Doch auch diesmal zeigten die Treffer frontal bei den Sturmgeschützen keine Wirkung.

Kerscher fuhr etwas zurück und wies Weigand ein. Beide wollten nun, weiter nach links ausholend, in die linke Flanke der Sturmgeschütze kommen und notfalls Hohlladungsgranaten verschiessen. Als sie fünf Minuten darauf aus der Flanke auf die Sturmgeschütze stiessen, schossen Weigand auf das letzte und Kerscher auf das das erste Sturmgeschütz. Alle hier versammelten SU 100, 12 an der Zahl, gingen im Abenddämmer in Flammen auf und brannten aus. An diesem Tage hatten die Russen bei 3 Angriffsversuchen bei Norgau annähernd 50 Sturmgeschütze und Panzer verloren.

Als die Feindtruppen mehr und mehr nach Norgau hineindrängten, sah sich Kerscher am Morgen des 14.4. genötigt, seinen Wagen einige Kilometer zurückzusetzten und Anschluss an die eigenen Truppen zu suchen. Dazu wollte er in einem tollkühnen Plan – der aber sicherstellte, daß er nicht von drei Seiten gleichzeitig beschossen wurde – noch einmal auf Norgau vorstossen und von dort die Russen von dem Erdwall herunterwerfen.

Geschützt durch mannshohe Büsche, kam der Tiger bis dicht an die ersten Häuser heran. Nach einer kleinen Wendung nach halblinks kletterte der Tiger die kleine Anhöhe empor und stand nun unmittelbar vor dem ehemals deutschen Graben, der dicht mit Russen besetzt war. Mit tiefgedrehter Kanone wurden Sprenggranaten geschossen, die in die Gräben einhieben. Langsam am Graben entlangrollend, schoss Schmidt immer wieder in den Graben hinein. Der Gegner wurde vernichtet. Wenig später wurde der Tiger von Feindartillerie eingedeckt. mit Vollgas rollte er zurück, erreichte mit einigen Kratzern das Ende des Walles und verschwand dahinter. Sie waren gerettet.

Westlich Norgau, der Ort selbst ist bereits in sowjetischer Hand, sammeln sich noch einmal die Männer des II. Batl. Pz.-Gren.-Regt. GD. zum Gegenstoß. In der Gegend Antonienhöhe, südlich Norgau und beiderseits Punkt 63, stellen sie sich bereit, nach Nordwesten Anschluß an die Pz.-Füsiliere.

Hier ein Einzelbericht über die Durchführung des Gegenstoßes in der mondhellen Nacht vom 13./14 April 1945.

Mein Angriffsstreifen verläuft vom Graben westlich Norgau bis zur Höhe 60, wo ich Anschluss an ein Pz.-Füs.-Batl. habe. Rechts des Grabens über die Höhe 63 verläuft der Angriffsstreifen der 5. und 7. Komp. Noch während der Nacht kommen wir bei unserem Angriff bis fast 50 m an die ersten Häuser von Norgau heran. Da wir jedoch nur LMG und keine weiteren schweren Waffen zu unserer Unterstützung haben, gelingt es trotz Verwendung von Panzerfäusten nicht, die Sowjets aus ihren Verschantzungen in den Häusern herauszuwerfen. Meine Komp. geht mit Elan vor, der noch besonders durch die Schreie der im Ort drangsalierten Frauen angestachelt wird. Doch gelingt es nicht einzudringen; die Männer bleiben infolge starkem feindlichen Granatwerfer- und MG-Feuer vor dem Ort liegen. Die 5. und 7. Komp. jedoch dringen unter Umgehung des großen Teiches westlich des Ortes in die ersten Häuser von Norgau ein. Nur können sie sich dort nicht lange halten. Feindlich Panzer zwingen sie zur Aufgabe und zum Absetzen auf die Ausgangsstellungen. Hier westlich von Norgau kommen die Sowjets zum Stehen.

Ein Auszug aus:

Die Kämpfe um Ostpreussen und das Samland 1944 – 1945
Helmut Borkowski

Herausgeber:
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