Neuhäuser von Dr. Kannapin

Erinnerungen an Neuhäuser

Dr. Kannapin

 

Ob Rauschen, Cranz, Neukuhren: in Neuhäuser gab es einen größeren Mond und schien die Sonne heller. „Damlichkeit is eine Gottesgabe, moats bloß nich damit quase“, meinte Onkel Puhlke mit seiner großen, gewaltigen, roten Himbeernase. Er mußte es wissen denn schließlich war er nicht nur fast der erste Gemeindevorsteher Neuhäusers, sondern auch Hauptmann d.R., Gebieter über Landwehrtruppen und mein Patenonkel. „Wat bruke wi Sonnche, wat bruke wi Stärn, Onkel Puhlkes Näs is de bäste Latern“, sangen die Soldaten auf der Straße und im Waldkrug, währen Onkel Puhlke selbst im heißen Juli unheimliche Grogmengen in sich hineingoß und mich anschließend in der Burgkapelle von Lochstädt mit gebührend frommer Miene über das Taufbecken hielt.

„Kieckt nur“, schrie der Lorbaß, der sich vor einen Wagen geschmissen hatte und Leibschmerzen simulierte, nur um Onkel Puhlke vor der sich rasch ansammelden Menschenmenge auf der Hauptstraße Neuhäusers in Verlegenheit zu bringen. Indes, dieser hatte Sinn für Humor. Sein Sohn, Paul Ehlers, sollte der letzte Bürgermeister Neuhäusers sein. Er starb in Lübeck, wenige Jahre nach der großen Flucht und Vertreibung aus der alten Heimat. Es mag größere, prächtigere, mondänere Seebäder gegeben haben, nichts geht über Neuhäuser. Hier bin ich geboren, hier verlebte ich den größten Teil meiner Jugend. Tante Hannchens vermuffte Kekse, die klebrigen Bonbons aus dem riesigen Blechbehälter, der von unserem Phylax ausgeplieserte, ausgestopfte Fuchs und die alte Baubausche am Buchenwald in Alt-Neuhäuser sind mehr als unvergeßliche Erinnerungen. Sie sind noch immer Heimat und Jugendgeborgenheit.

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Würde Neuhäuser noch heute weiterleben, der Ort wäre kaum 100 Jahre alt. Noch 1917 lebten zur Winterzeit in Neuhäuser kaum 10 bis 12 Familien: der Förster, Kaufmann Klaaz, Gastwirt Franz Müller, dessen Bruder Rudi der die Postagentur hatte, der Gärtner Clemens, Seiler- und Bademeister Sawitzki, Fuhrhalter Gronau, Schuhmacher Jäckel, meine Großeltern und einige Waldarbeiter. Das Haus meiner Großeltern war das neunte Haus Neuhäusers. Den ersten Gemeindevorsteher Danel löste später Paul Ehlers, der vielgerühmte und berühmte Onkel Puhlke, ab. Sein Vater, Inhaber des Königsberger Weinhauses C.B. Ehlers, hatte für einige Flaschen Rotwein Grund gekauft und damit den Anstoß für die Königsberger Kaufmannschaft gegeben, sich in Neuhäuser ein Ferienidyll zu schaffen, das seinesgleichen suchte.

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Vor diesem denkwürdigen Entschluß bestand Neuhäuser lediglich aus dem Gut Alt-Neuhäuser dem Gut „Schäferei“ und dem zugehörenden Waldkrug. Das Gut Alt-Neuhäuser gehörte der Familie Negeborn, dann später Professor Krause. Schäferei und Waldkrug gehörten lange der Familie Morr. Hier entstand später eine Gärtnerei. Die Obstplantage auf der Palwe gedieh nicht recht und wurde an ortsansässige Käufer aufgeteilt. Für die Gründung der Sommerfrische Neuhäuser zeichnete ein Komitee verantwortlich. Dazu gehörten Angehörige der Familien Laubmeyer, Ehlers, Radock und Thran. Radock war am Ausbau der Bahnlinie von Königsberg bis Pillau beteiligt. Franz Thran riß ein Haus in unmittelbarer Nähe der Königsberger Börse ab, ließ alle Materialien nach Neuhäuser transportieren und baute das Haus dort wieder auf.. Es wurde später von meiner Tante gekauft und lag wenige Schritte vom Haus meiner Großeltern entfernt. Mein Eltern- und Geburtshaus war ehemaliger Porrscher Besitz. Es war vom Fischhausener Brauerei- und Sägewerksbesitzer Porr erbaut worden. Als erstes Haus baute der Bahnhofswirt von Fischhausen das spätere Ostseehotel, welches in den Besitz der Familie Rich überging. Die Familie Ehlers errichtete das zweite Haus. Besitzer Quisisanas war ursprünglich der Graf von Dohna-Schlobitten, der Quisisana an den Königsberger Rechtsanwalt Dr. Stoltenberg veräußerte.Jahrelanger Pächter der Bewirtschaftung des Kurhauses und der Strandhalle war die Familie Empacher. Aus dem Kurhaus wurde später das Kaiserin-Viktoria-Heim der ev.-luth. Kirche.

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Das Haus Balthasar in der Seitenstraße ging aus dem Eigentum des Grafen Lehndorff ebenfalls in dem Besitz der evangelischen Kirche über und wurde ein Schwestern Erholungsheim.

Mit dem Bau des Seesteges hatten die Komitee-Mitglieder erhebliches Pech. Der Seesteg mußte in jedem Jahr erneuert werden, da Sturm und Wellen im Winter alles zerschlugen und die Trümmer zudem noch mit einer bizarren Eisdecke bedeckt wurden.

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Am Haffwald, gegenüber vom Waldkrug, legten im Sommer die Ausflugsdampfer aus Königsberg an. In unmittelbarer Nähe der großen Eiche und ebenfalls kaum einige Schritte vom Waldkrug entfernt, stand das Chaussee-Haus. Hier wurde in früheren Zeiten der Wegezoll erhoben. Im Winter wurde am sogenannten Königssee gerodelt. Dieser Teich lag in Richtung auf Pillau in der Heidelandschaft vor der Plantage und soll ganz schön tief gewesen sein, obwohl wir hier keine Tauchversuche unternahmen. im Königsee soll Gustav Adof von Schweden einst gebadet haben. Die Schwedenschanze lag auf halbem Wege zwischen Pillau und Neuhäuser. In früheren Zeiten war diese Stelle unbewaldet und man konnte bis Palmnicken sehen. Vom Pfannkuchenberg zwischen dem Ort und Bahnhof Neuhäuser reichte der Blick weit über die Ostssee und über das Frische Haff bis nach Balga. Die Ordensburgen Balga und Lochstädt sollen durch einen unterirdischen Gang verbunden gewesen sein, der erst beim Bau des Ostseekanals einstürzte.

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Am Rande des letzten mächtigen Buchenwaldes im ostpreußischen Bereich hatte die alte „Baubausche“ ihre Holzhütte. Ursprünglich wurde hier für Familien Kaffee gekocht und ausgeschenkt. In späteren Zeiten kratzten dort nur die Hühner herum und die alte „Baubausche“ war für uns die „Täwerhäx“, mit der uns Angst eingejagt wurde. Die Baubausche war gar nicht so übel, wie sie uns schien. Sie hieß eigentlich Zimmermann und hatte vom Fiskus die Erlaubnis erhalten, ein einfaches Holzhaus am Waldrand zu errichten und einen Kaffeausschank zu betreiben. Ihr Mann, der Handwerker war, brachte ihr den Namen „Baubausche“ ein, denn er war es, der ein polterndes Wesen zur Schau trug und seine Umwelt in Angst und Schrecken versetzte. Die Baubausche beriet gerne Pilzsammler, meist dergestalt, daß sie alle Pilze für giftig erklärte, die fortgeworfenen eßbaren Pilze dann aufsammelte und im Ort verkaufte. Nach ihrem Tod wurde die Holzbude abgerissen. Sie selbst war weit über 80 Jahre alt geworden.

Zwei Waldstreifen zwischen See und Haff, kurz Gardine genannt, bildeten die Gemarkungsgrenzen zwischen Neuhäuser und Pillau einerseits und Neuhäuser und Fischhausen andererseits. Auch das Kreuz von Tenkitten war nicht weit von Neuhäuser entfernt. Hier sollen die heidnischen Pruzzen Adalbert von Prag erschlagen haben. Für uns hatte dieser Ort eine ganz andere Bedeutung. Hier gab es gute Pilzkes und etwas weiter an der Steilküste die besten Brombeerhecken weit und breit. Manchmal lag schon der erste Schnee, wenn wir dort Brombeeren pflücken gingen

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Der Ostssestrand war zeitweilig für die Bernsteingewinnung verpachtet. Mit Hehlwagen (großen Kastenwagen) wurde der Bernstein vom Strand abgefahren und zur Bernstein-Abnahmestelle im Alten Gasthof am Strand gebracht. Dort lieferten auch die Bernsteinfischer ihren Bernstein ab, den sie mit Käschern aus der Ostsee fischten. Für ein Pfund kleiner Bernsteinstücke gab es 8 Dittchen Finderlohn. Große Stücke wurden von uns nicht abgeliefert, sondern behalten. Es gab faustgroße Stücke, aber auch solche, die so groß wie ein Kopf waren. Fische wurden direkt am Strand gekauft. Meist kam jedoch der Fischer Mai aus Lochstädt und brachte die Fische direkt ins Haus, da in Neuhäuser keine Fischer wohnten. Neuhäuser galt als Familienbad der sogenannten „oberen Zehntausend“, aber dies verlor sich, und man sollte es nicht so wichtig nehmen. Jeder Villenbesitzer besaß nach dem ersten Weltkrieg eigene Pferdefuhrwerke und kam aus Königsberg mit dem Pferdefuhrwerk nach Neuhäuser angereist. Erst nach dem ersten Weltkrieg gab es auch in Neuhäuser Kurgäste und Familien, die hier Sommerferien machten. Trotz Reunionen, Tennisplatz und Sommerfesten blieb Neuhäuser ein beschauliches Familienbad ohne lärmende Betriebsamkeit und sonntäglichen Massenansturm badehungriger Königsberger. Natürlich war die Zeit längst vorbei, in der vom alten Rich persönlich „Knickebein“ am Tisch zubereitet und kredenzt wurde, nachdem er den Stall ausgemistet hatte und, mit etwas Kuhschiß vermengt, die Eier in den Schnaps quirlte. Auch die Kotletts schnitt der alte Rich höchstpersönlich zu und schlackert seine Finger in der Hühnerbrühe ab.

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Im Winter, wenn der Sturm um die hohen Eichen tobte und die Brandung der Ostsee die dumpforgelnde Begleitmusik spielte, wurde Skat und Doppelkopp gedroschen. Die lieben Verwandterchen brachen wie verirrte Heuschrecken in die sonst stillen Gefilde ein und verschlangen, was Keller und Küche hergaben und was der Sommer noch übriggelassen hatte. Da soll mal einer sagen, daß unser Neuhäuser nicht zu jeder Jahreszeit schön war. Selbst die „Ilskefalle“ in Pillau kam da nicht mit, und die gehörte zeitweilig unserem Onkel Puhlke, mit allem Drum und Dran, und der war mein Patenonkel

Dr. Kannapin

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