Chronik von Gaffken für die Jahre 1854 – 1945

Rittergut Gaffken

 

Im Jahre 1854 kaufte der mecklenburgische Landwirt Otto Wien das Rittergut Gaffken mit seinen Vorwerken Damerau, Nöppkeim, Barten und das 12 Kilometer entfernt gelegene „Torfbruch Germau“, außerdem gehörte zu der Begüterung noch eine 50 ha große Exklave „Tiergart“, in der Kobbelbuder Forst gelegen, hierzu. Herr Kommerzienrat Otto Wien war mit einer geborenen Lübeckerin names Kruse verheiratet und war in Königsberg Pr. Teilhaber bei der Firma Ernst Castell, Getreidegroßhandlung. Diese Firma florierte und warf erheblichen Gewinn ab, der es Herrn Wien ermöglichte, nicht nur Gaffken zu kaufen, sondern darüber hinaus auch Gaffken mit seinen Vorwerken neu aufzubauen. In Gaffken wurden alle Gebäude neu errichtet bis auf ein altes Haus, in dem die beiden Kämmerer wohnten. Ebenso wurde das Vorwerk Damerau neu aufgebaut. Der ganze Gaffker Gutshof wurde mit einer 2,50 Meter hohen massiven Mauer umgeben. In dieser Mauer war in Richtung Damerau ein großes Tor aus Holz eingebaut das den Weg durch eine mit alten Linden bestandene Allee nach dem 1,5 Kilometer entfernten Vorwerk Damerau freigab. Außer allen Wirtschaftsgebäuden wurden auch die Leutehäuser in Gaffken und Damerau sowie das geräumige Herrenhaus neu erstellt. Weiter wurde in Gaffken eine neue Schule mit angeschlossener Lehrerwohnung und einer Wohnung für den Schloßgartenmeister gebaut. Das Landhaus war aus gelben Klinkern mit einem an der Ostseite angebauten hohen Turm, ebenso das sich an das Herrenhaus anschließende Haus des Administrators. Den Turm benutzten die deutshen Flieger als Richtpunkt, wenn sie von See nach Königsberg einflogen. Der sehr sozial eingestellte erste Besitzer aus der Familie Wien ließ die Leutehäuser in Gaffken seinerzeit weit vorausschauend sehr geräumig erbauen, so daß jede Familie zwei große Stuben hatte, außerdem war die Möglichkeit zum Ausbau einer weiteren Stube im Dachgeschoß gegeben. Jedes Haus umfaßte vier Wohnungen, und jede Familie hatte einen eigenen Stall, wo sie ihre Kuh, Schweine und Federvieh unterbringen konnten. So entstanden in Gaffken entlang der Dorfstraße auf jeder Seite drei neue Insthäuser und auf der anderen Seite der Chaussee von Fischhausen nach Palmnicken ein großes Haus zur Unterbringung der zusätzlichen Arbeitskräfte. Jedes Haus hatte für seine Bewohner einen sehr großen Hausgarten, wo sich manche Familie noch zusätzliche Stallungen, meist in Holzbauweise, schufen. Die Gaffker Deputantenwohnungen waren für die damalige Zeit bespielgebend und den meisten anderen Wohnungen auf den Samlandgütern weit überlegen, was nicht zuletzt der Grund dafür war, daß die Familien in Gaffken über Generationen hindurch auf derselben Stelle blieben.

An die Schule war ein Altarraum angebaut, der durch große Flügeltüren mit dem Klassenzimmer verbunden war. Hier hielt der für Gaffken zuständige Pfarrer aus Tenkitten jeden Sonntagnachmittag Gottesdienste ab.

Herr Rittmeister Maier, der im Jahre 1923 Gaffken mit seinen Vorwerken pachtete – nur der 125 ha umfassende Wald war von der Verpachtung ausgeschlossen und wurde von der Wienschen Erbengemeinschaft unter Aufsicht des Forstamtes der Landwirtschaftskammer in Königsberg selbst bewirtschaftet -, vervollkommnete noch die von Herrn Kommerzienrat Wien begonnene Besserstellung der Landarbeiterfamilien dadurch, daß er sämtliche Wohnungen mit Holzdielen versehen ließ. Es geschah dieses im Einvernehmen mit dem damaligen Bevollmächtigten der O. Wienschen Erbengemeinschaft, die nach dem Tode von Otto Wien im Jahre 1882 gegründet war, Herrn Geheimen Hofrat und ordentlichen Professor Max Wien in Jena. Ebenso wie in Gaffken wurden zur selben Zeit die Deputantenwohnungen in Damerau sowie die Wirtschaftsgebäude in Damerau neu erstellt. Damerau bekam zwei Fünffamilienhäuser und ein Zweifamilienhaus, einen Jungviehstall für ca. 200 Stück Jungvieh und drei große massive ziegelgedeckte Scheunen. Auch auf dem Vorwerk Nöpkeim wurde ein Leutewohnhaus für die drei Familien neu erstellt. In dem sogenannten „Wäldchen“ wurde ein Friedhof angelegt und für die Familie Wien ein Erbbegräbnis errichtet. Dieser Kirchhof, der von Wald umgeben war, war einer der schönsten Gutsfriedhöfe in der ganzen Gegend und wurde auch von den Landarbeiterfamilien sehr gepflegt und die Gräber in Ordnung gehalten. Zum Schutze gegen Wildverbiß ließ Herr Maier den Kirchhof mit einem Masschendraht umgeben.

Die Scheunen in Gaffken und Damerau waren massive, ziegelgedeckte Scheunen von 80 Meter Länge, 18 Meter Höhe und 16 Meter Breite, sogenannte mecklenburgische Langfahrscheunen, mit nur einer Längstenne an der einen Seite. Hierdurch wurden beim Einfahren und Dreschen immer sehr viele Leute gebraucht, um das Getreide in die Scheunenfächer zu bringen. Auch das Ausdreschen des Getreides machte insofern Schwierigkeiten, als sogenannte „Vorgelege“ für die beiden großen Lanzdreschsätze mit Gebläse und Strohpressen erforderlich waren, um mit den Dreschkästen in die Mitte der Scheunen zu kommen. Angetrieben wurden die beiden Dreschsätze mit je einer englischen Lokomobile, die ja außerhalb der Scheunen stehen mußten. Herr Maier wollte dem Übel des großen Arbeitskräfteverbrauches durch einen Höhenförderer abhelfen. Als aber der Osterrieder-Höhenförderer ankam, reichte er nicht bis zu den inzwischen nur in einer Scheune eingebauten Dachluke hinauf. Herr Maier half sich dann durch den Kauf eines Mammutgebläses, das in der Mitte der Scheunen angesetzt wurde und nun das einzufahrende Getreide nach beiden Seiten blies.

Nach dem Verkauf der 50 Hektar Exklave Tiergart in dem Kobbelbuder Staatsforst und dem Verkauf des Torfbruches Germau umfaßte die Begüterung zum Zeitpunkt der Vertreibung noch rund 1000 Hektar, wovon zirka 250 Hektar eingezäunte Weidegärten entlang des Germauer Mühlenfließes und 75 Hektar Wald waren. Der Wald bestand aus dem 50 Hektar großen „Kauster“, dem zirka 25 Hektar großen Wäldchen, wo früher in der Mitte Karpfenteiche angelegt waren und einem kleinen Waldstück an der Grenze zu Godnicken und Bohnau. Der Abverkauf des Waldes in der Kobbelbuder Forst geschah im Zuge der Erbauseinandersetzung mit dem einzigen Nachkommen des 1923 verstorbenen ältesten Sohnes von Herrn Otto Wien. Auf Initiative des Herrn Landrates Max Rötger der Helene Wien, eine Tochter des Kommerzienrates Otto Wien zur Frau hatte, war die Erbengemeinschaft O.Wiens 1922 gegründet und ein Familienvertrag geschlossen worden, der zum Ziel hatte, Landverkäufe an Dritte zu verhindern und allmählich die Begüterung in die Hand eines Familienmitgliedes zu bringen. Bei den O.Wienschen Erben wurde Gaffken durch einen Adminstrator bewirtschaftet.

Im Jahre 1923 übernahm Herr Rittmeister Emil Meier Gaffken als Pachtung. Herr Maier, der aus dem Greise Graudenz kam, wo er sein Gut Nitzwalde nach Bildung des Korridors aufgeben mußte, da er sich erst 1909 dort angekauft hatte und deshalb nicht für Polen optieren durfte, war ein sehr passionierter Landwirt. Er bewirtschaftete die Begüterung in drei Rotationen; Gaffken, Damerau und Barten, wobei in Barten etwa 5 Jahre die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise angewandt wurde. Diese Wirtschaftsweise wurde aber wegen des rapiden Rückganges der Erträge wieder aufgegeben. Herr Maier führte in Gaffken den Zuckerrübenanbau wohl als erster Großbetrieb ein. Die Zuckerrüben wurden zuerst nach Rastenburg geliefert, später dann nach Marienburg und Altfelde, da die Zuckerfabrik Rastenburg bei dem vermehrten Zuckerrübenanbau voll ausgelastet und die Kapazität dieser Fabrik erschöpft war. Trotz der weiten Entfernung bis zu den Zuckerfabriken in Marienburg und Altfelde belastete das den Betrieb wenig, da die reine Rübenfracht von den Fabriken getragen wurde. Die Zuckerrübenanbauer mußten nur einen erhöhten Schmutzprozentanteil bei den Rüben, also den hierfür anfallenden Frachtanteil, tragen. Im allgemeinen blieb der Anteil an Schmutzprozenten unter den zulässigen Prozenten, nur in einem Jahr hatten die Gaffker Zuckerrüben 55 Prozent Schmutz, als der Herbst sehr naß war und die Rüben mit Hilfe von Feldbahnen vom Acker geholt werden mußten.

Neben vielen Feldversuchen, die von den einzelnen Kunstdüngersyndikaten durchgeführt wurden, hatte Herr Maier die gesamte Ackerfläche auf Kalk, Kali und Posphorsäure untersuchen lassen, und es wurden hierfür Karten angefertigt. Herr Maier führte in Gaffken auch den Vermehrungsanbau von verschiedenen Gräsern wie wehrlose Trespe, Knaulgras und Wiesenschwingel ein; außerdem wurde Rotkleesamen aus eigenen Beständen gezogen. Weiter hatte Gaffken Vermehrungsanbau von Kartoffeln und lieferte im Jahresdurchschnitt zirka 12000 bis 15000 Zentner Kartoffeln ab. An Getreide und Hülsenfrüchten wurden pro Jahr etwa 10000 bis 12000 Zentner der Volkswirtschaft zugeführt, trotz des umfangreichen Eigenbedarfes. An lebendem Inventar sind den Russen 376 Stück Rindvieh, alles Herdbuchvieh, da auch die Leutekühe zum größten Teil aus der Gaffker Herde stammten, 450 bis 500 Schweine, 125 Pferde und zirka 300 Schafe, die den Deputanten gehörten – die Gutsverwaltung hatte zu Beginn des Krieges den Deputanten Schafe zur Wollgewinnung angeschafft – in die Hände gefallen.

Die Gaffker Herdbuchherde gehörte zu den Gründerherden des Ostpr. Holl. Herdbuches, das etwa im Jahre 1883 gegründet wurde. Gaffken hat auf drei aufeinanderfolgenden DLG-Ausstellungen die beste Formenkuh Deutschlands gestellt. Es waren die DLG-Ausstellungen in Erfurt, München und Hamburg. Alle 14 Herdbuchversteigerungen in Königsberg wurden besonders mit tragenden Starken beliefert. Selbst 20 von der Herdbuchgesellschaft ausgesuchte tragende Starken, die bereits im Herbst 1944 nach Mecklenburg abgestellt worden waren, haben die Russen dann dort erbeutet.

In Gaffken stand ein eigener 1a gekörter Kaltbluthengst, der auch fremden Stuten zur Verfügung stand; weiter stellte Gaffken zu den Auktionen der Kaltblutgesellschaft Junghengste, die durch die Stutbuchgesellschaft für schwere Arbeitspferde meist im Rheinland oder Belgien angekauft waren und von der Gutsverwaltung aufgezogen wurden, zum Verkauf. An Warmblut hatte Gaffken 6 bis 8 Hauptregisterstuten Trakehner Abstammung. Den einzigen Junghengst Trakehner Abstammung, den Gaffken je gestellt hat und der auf der Auktion in Königsberg 1943 den Höchstpreis von 17500 RM brachte, wovon 15000 RM den eigentlichen Preis ausmachten, während die 2500 RM Züchterzuschlag waren, da die Mutter des Hengstes in Gaffken stand, haben die Russen in der Hengstprüfungsanstalt Zwion, die zum Georgenburger Gestüt gehörte, erbeutet. Die Nachzucht der Warmblutstuten wurde meistens als Remonten an die Wehrmacht verkauft.

Die 45 bis 50 Zuchtsauen lieferten den Nachwuchs für die Mastschweineproduktion. Jährlich wurden 15 bis 20 Waggons Mastschweine an die Viehverwertungsgenossenschaft nach königsberg geliefert. Gaffken wurde mit etwa 150 ständigen Arbeitskräften, davon 45 Deputatfamilien und etwa 30 bis 40 zusätzlichen Arbeitskräften, Artamanen, Strafgefangene aus Königsberg oder auch polnische Schnitterkolonen oder Jungstahlhelmer, bewirtschaftet. Dem Betrieb standen 16 Gespanne Pferde zu je vier Stück, zwei 55 PS starke Lanz-Bulldozer und ein Deutz Dieselschlepper mit 38 PS zur Verfügung. Im Einvernehmen mit dem Bevollmächtigten der O.Wienschen Erbengemeinschaft wurde in Gaffken noch im Jahre 1939/40 eine Düngerstätte für 200 Stück Großvieh erbaut. Die Firma Beck und Henkel in Kassel lieferte hierfür den auf Schienen laufenden Düngerkran, und die Firma Ferdinand Schmidt, Verden/Aller baute die vier erforderlichen Hochsilos, wo die anfallende Jauche ganzjährig gespeichert werden konnte. Außerdem führte die Firma Schmidt die notwendigen Betonarbeiten an der Düngerstätte aus. Es wurde mit Hilfe des Düngerkranes der einen elektrischen Aufzug hatte und einen großen Greifer auf der anderen Seite, der Mist auf die Gummiwagen geladen. Hochsilos waren notwendig, da Gaffken nur 6 Meter über dem Meeresspiegel lag. Die Jauche, die durch Rohrleitungen aus dem Kuhstall und auch von der Düngerplatte zu einer doppelwirkenden Kreiselpumpe geleitet wurde, durch diese in die Hochsilos gepumpt oder zum Abfahren in die Jauchewagen, kam also mit der Luft nicht in Berührung, wodurch Stickstoffverluste vermieden wurden. Landwirtschaftliche Experten haben den Stickstoffgehalt dieser durch die ganzjährige Speicherung gut vergorenen Jauche errechnet und dabei festgestellt, daß diese Jauche sehr viel höhere Stickstoffwerte besaß als die sonst übliche Jauche. Dieser Umstand kam besonders dem Zuckeranbau zugute. Die Jauche wurde dann mit 4 bis 6 Jauchewagen auf den Acker befördert. Es war die zweitgrößte Anlage dieser Art in Deutschland.

Gaffken hatte auch eine Gutsmolkerei, die von Herrn Otto Wien erbaut wurde. Zuerst wurde in der Gutsmolkerei nur Käse produziert, später zu Zeiten von Herrn Maier nur Markenbutter, die auf den DLG-Austellungen stets Preise brachte. Die Butter wurde tonnenweise nach Berlin geliefert. Im Zuge der Zentralisation wurde dann auch diese Gutsmolkerei wie viele andere etwa 1938 stillgelegt. Jetzt mußte die Milch zunächst nach Godnicken geliefert werden und später an die Genossenschaftsmolkerei nach Caspershöfen. Dazu war zunächst die Anschaffung von Milchkannen und eines Milchwagens erforderlich, da die Milch bisher in Kübeln zu 60 Liter an einen Wagen gehängt wurden, der nur aus zwei Holmen bestand. Den gummibereiften Milchwagen lieferte die Waggonfabrik Steinfurt-Königsberg. Im Winter mußte dieser Milchwagen häufig mit vier Pferden bespannt werden, um durch die schneeverwehten Wege und Chausseen hindurchzukommen. In einem Winter in den dreißiger Jahren reichte der Schnee bis an die Baumkronen der Chausseebäume.

Gaffken hatte eine eigene Elektroanlage, die durch einen stationären Dieselmotor angetrieben wurde. Durch dieselbe Kraftquelle wurde auch die Molkerei mit ihren verschiedenen Maschinen mit Hilfe einer Transmission angetrieben. Von derselben Transsmission aus wurden auch die beiden Schrotmühlen und die Reinigungsanlage auf dem Speicher betrieben. Ansonsten hatten wir nur Kleinkraftanlagen. Der Anschluß an das Überlandwerk war geplant und schon vorbereitet durch den Bau eines massiven Transformatorenhauses. Auch waren bereits alle notwendigen Elektromaschinen gekauft, so daß wir dann auch elektrisch hätten dreschen können. All diese Maschinen sind den Russen z.T. noch fabrikmäßig verpackt in die Hände gefallen. Der Kauf aller dieser Maschinen war ja im Krieg sehr erschwert und konnte nur mit sogenannten Eisenscheinen bewerkstelligt werden, die wiederum nur dadurch beschafft werden konnten, daß dadurch eine Menge Rohöl eingespart wurde, das kesselwagenweise bezogen wurde. Weiter wären dann auch die unheimlichen Mengen an Druschkohle eingespart worden. Zum Ausdreschen der Ernte waren zirka 3000 Zentner Kohle notwendig. Die Landwirtschaft war damals ein großes Transportunternehmen, wurden doch im Jahresdurchschnitt etwa 150 Eisenbahnwaggons benötigt.

Durch die Zahlenangaben will ich vor allem der Öffentlichkeit zeigen, was allein ein landwirtschaftlicher Großbetrieb für die Volksernährung geleistet hat und welche unermäßlichen Werte den Russen in die Hände gefallen sind. Mit diesem Bericht hoffe ich etwas zur Dokumentation der Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten beigetragen zu haben und vor allem der deutschen Jugend die Erinnerung an unsere geliebte unvergessene Heimat wachhalten zu helfen.

Günter Henneberg