Bericht über das Kirchspiel Thierenberg
aus dem Buch
Das westliche Samland
von Oscar Schlicht (erschienen 1922)
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Das Kirchspiel Thierenberg.
Thierenberg
Die ältere Geschichte des Kirchspiels Thierenberg ist die des Gebietes Rinau, während ihre neuere mit dem Bau der Burg beginnt, die der Ordens -Landmeister Conrad von Tyrberg auf den Resten einer alten Preußenburg in den Jahren 1270—75 errichten ließ, ihr auch seinen Namen gebend. Daß die Anlage der Burg durch den Orden geschah, hatte seinen Grund darin, daß der damalige samländische Bischof Heinrich von Strittberg sich meist außer Landes aufhielt, und dem Orden für die Zeit seiner Abwesenheit alle Machtbefugnisse über seine Landesteile übertragen hatte. Die Burg verfiel bereits in der letzten Ordenszeit, 1507 galt sie als nicht mehr verteidigungsfähig, trotzdem sie im Friedensvertrag mit Polen 1525 ausdrücklich unter den dem Herzog verbleibenden aufgeführt wird. Etwa hundert Jahre später wurde sie abgebrochen; jetzt ist sie bis auf einige Reste der Umfassungsmauer, die dem Gutsgarten als Zaun dienen, völlig verschwunden. Ist auch nichts von der alten Burg mehr übrig, so lebt doch die Erinnerung an sie in dem Gutsbezirk Schloß Thierenberg fort.
Sahen wir beim Orden die Kirchen der samländischen Kammeramtsbezirke zumeist in die Burgen eingebaut, so waren die Geldverhältnisse des samländischen Bistums damals offenbar so günstig, daß es den Bischöfen möglich war, die Kirchen ihres Anteils gleich in bedeutender Größe außerhalb ihrer Kammeramtsburgen auf-führen zu lassen. Diese Burgen selbst dürften aber kleiner als jene der Kammerämter des Ordens gewesen sein. Wie die Kirchen in Medenau und Laptau wurde auch die in Thierenberg auf einer der Burg am nächsten liegenden, die ganze Gegend beherrschenden Anhöhe errichtet.
Der Bau der Kirche oder die Absicht hierzu wurde die Veranlassung zur Gründung des Dorfes Thierenberg. Daß es eine deutsche Gründung war, beweist die Erwähnung eines Schulzen in Tyrberg im Jahre 1325, der aber die üblichen vier Schulzenhufen bereits von einem Vorgänger übernahm; nur von Deutschen besiedelte Ortschaften hatten einen Schulzen. Zu der Wahl Thierenbergs als Kirchort gab wohl die Auseinandersetzung zwischen Orden und Bischof im Jahre 1330, ferner die günstige Lage des Platzes fast in der Mitte der nördlichen Hälfte des bischöflichen Anteils die Anregung. Der nahe der See liegende bischöfliche Landabschnitt brauchte damals noch nicht berücksichtigt zu werden, da er vom Orden, veranlaßt durch die Aufstände der Samländer, scheinbar völlig menschenleer gemacht war; erst das Jahr 1352 brachte auch dieser Gegend für die mittlerweile hier angesiedelten Sudauer ein eigenes Gotteshaus in der Kapelle zum heiligen Kreuz.
Neben der Kirche in Juditten soll die in Thierenberg die älteste des Samlandes sein; ihren Baubeginn aber bereits um das Jahr 1270 zu verlegen, erscheint aus geschichtlichen Gründen nicht angängig zu sein. Sie ist ein Ziegelrohbau, der leider in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts völlig übertüncht wurde. Das Langhaus der Kirche hat schöne Sterngewölbe, die von außen durch Strebepfeiler gestützt werden; bemerkenswert ist das Fehlen eines Chores. Der Turm hat das übliche Satteldach der bischöflichen Kirchen des Samlandes. Die Nordseite hat keine Fenster, ihren Platz markieren ursprünglich bemalte Blenden. Die Fenster der Südseite sind in späterer Zeit ohne Rücksicht auf Form und Umfang vergrößert, nachdem man die alten Ausschnitte möglichst unkenntlich gemacht hatte.
Unter dem Kirchenschiff befindet sich in der Laufrichtung ein gewölbter Gang, an dem auf beiden Seiten Grabgewölbe liegen sollen. Der Eingang zu ihm liegt beim Altar und gab wohl die Ursache zu der Sage von einem von hier nach dem Schlosse führenden unterirdischen Gang. Ein Teil des Fußbodens der Kirche stürzte vor längerer Zeit ein, wobei auch die Gewölbe verschüttet wurden; nach einer alten Überlieferung bedurfte es „vieler Erde“, um die Einsturzstelle wieder zu füllen. Die alten Malereien der Kirchenwände sind durch Tünche verdeckt. Der schlechte bauliche Zustand der Kirche – die Sakristei und das Turmdach sind völlig baufällig – ist seitens der Gemeinde und des Staates lange erkannt, und in großer Opferfreudigkeit hatte die Gemeinde auch eine verhältnismäßig bedeutende Summe zur Wiederherstellung der Kirche gesammelt. Lässigkeit ließen die Arbeit trotzdem sie bereits 1909 beschlossen wurde, aber nicht rechtzeitig beginnen, und so erscheint es bei den veränderten Zeit- und Geldverhältnissen als ganz unmöglich, den ehrwürdigen Bau zu retten, wenn nicht der Staat in letzter Stunde helfend einspringt. Teilweise überaus beachtenswert ist die innere Einrichtung der Kirche. In erster Reihe steht der Altaraufsatz, ein gotisches Tryptichon aus der Spätordenszeit und einer der wertvollsten Kunstschätze Ostpreußens; er ist ein Juwel, dessen Besichtigung allein dem Kunstfreund eine Reise nach dem abseits gelegenen Thierenberg lohnend erscheinen läßt. Die Doppelflügel tragen auf Goldgrund gemalte Szenen aus dem Leben der Maria, die Außenseiten sind mit Heiligenbildern geschmückt. Das Mittelstück ist ein aus Holz geschnitztes Marienbildnis, das durch ein nicht im geringsten zum Altar passendes Christusbild, eine neuzeitliche Kopie, verdeckt wird. Auf der oberen Kante trägt das Werk drei holzgeschnitzte Figuren, von denen eine den heiligen Adalbert vorstellen soll. Der Altar, vermutlich eine Nürnberger Arbeit aus den Jahren 1511—18, ist ein Geschenk des damaligen Bischofs von Bünau an die Kirche. Dringend zu wünschen bleibt die baldige Herstellung dieses vornehmsten, jedem Museum zur Zierde gereichenden samländischen Kunstwerkes von berufener Hand, wenn es nicht in absehbarer Zeit völlig zu Grunde gehen soll.
Ein anderes künstlerisches Werk der Kirche ist die 1581 von dem Hoftischler Melchior Breuer gefertigte fünfeckige Kanzel, die als die schönste des Samlandes gilt; sie ist mit Blumenranken in Intarsienart bemalt, die Schnitzereien sind Renaissance; in gleichem Stil ist die leider schlecht übermalte Verkleidung der Empore rechts vom Altar geschnitzt. Zu beachten sind in der Kirche noch ein Kruzifix und zwei kleine Holzfiguren aus früherer katholischer Zeit. Die Orgel der Kirche ist von 1832; die Glocke wurde 1522 von Heinrich von Svickelt gegossen. Ein Pleban wird auch in Thierenberg bereits 1321 erwähnt, und 1335 verlieh Bischof Johannes, der vermutliche Erbauer der Kirche, den Zins dieses Dorfes seinem langjährigen Notar, dem Pfarrer Johannes, zum Unterhalt. Die jetzt zweiklassige Schule ist als Kirchschule aus alter Zeit stammend.
Malerisch schmiegt sich das kleine Kirchdorf an die hochragende Kirche. Leider sind uns über dieses wie auch über das Kirchspiel verhältnismäßig wenige Nachrichten erhalten, da 1721 das Pfarrhaus und mit ihm die ganzen Kirchenakten verbrannten. Die Zahl der Bewohner Thierenbergs betrug 1844 217 und 1919 405 Personen, hierin sind aber jene des adligen und des köllmischen Gutes Thierenberg mit einbegriffen.
Das adlige Gut Schloß Thierenberg, das einzige ehemalige Lehnsgut des Kirchspiels, ist aus dem alten Kammergut hervorgegangen; da ja ein Senkete auf dem benachbarten Markehnen 1357 als Rinauer Kämmerer bereits genannt wurde, ist dieses Jahr vielleicht als der Zeitpunkt der Verlegung des Kammeramtes von Rinau nach Thierenberg anzunehmen. 1436 gibt es einen Vincentius als Kämmerer in Thierenberg, und Bischof von Bünau verlieh das Kammergut 1508 einem Niclas von Niederbach, der es bereits längere Zeit verwaltet hatte. Da diese Familie 1618 ausstarb, kam das als wüst geschilderte Haus Thierenberg zu Lehnsrechten an Karl von der Ölsnitz. Von diesem übernahm es 1638 für 17000 preußische Mark Georg von Auer, dessen Nachkommen es dann lange Zeit besaßen und von denen auch die benachbarte Ortschaft Auerhof ihren Namen führt. Um 1700 war ein Conrad von Auer Eigentümer von Thierenberg, Dulack – das alte Tullauken – und Kotzlauken, mit insgesamt 37 Hufen 23 Morgen. Weitere Besitzer in früherer Zeit waren 1728 ein Prinz von Holstein, die Familien von Quoß, von Montowt und von Batocki, ferner Stein und Kroeck.
Der Umfang des Schloßgutes beschränkte sich aber nicht nur auf dieses, sondern fast dauernd gehörten zu ihm als Vorwerke Markehnen, Dulack, Bärholz und Auerhof. Insgesamt wurde der Wert der Thierenbergschen Güter 1800 auf 68000 Taler angegeben. Auf Markehnen wird 1436 ein Petcze de Markeyn genannt; eine besondere Beachtung erhielt der Ort aber in geologischer Beziehung durch eine hier 1873 begonnene Tiefbohrung, die schließlich nach Unterbrechung 1877 205 Meter, und damit die überhaupt größte bisher im Samland erbohrte Tiefe erreichte. Diese wissenschaftlichen Zwecken dienende Arbeit ergab folgende Schichten stärken: Quartär 3,3 Meter, Braunkohlenformation 43,7 Meter, Glaukonit – Sande mit vorkommendem Bernstein 45 Meter, sandige Letten 18,9 und Kreidemergel 94,1 Meter. Die verrohrte Bohrstelle befindet sich 42 Meter über dem Spiegel der See.
Heute gehört zum Gut Schloß Thierenberg nur noch Auerhof als Vorwerk und Schulort; Markehnen mit dem Vorwerk Dulack und Bärholz sind selbständige Güter geworden. Die Schule Markehnens wurde früher von den Gütern der Umgegend unterhalten, eine Weile war sie auch im nahen Auerhof untergebracht. Die frühere Amtsmühle wird bereits 1348 erwähnt, indem es heißt, „der Müller vom bischöflichen Hof Tyrberch erhält auch den Krug und das Recht des Hufbeschlages mit den bischöflichen Leuten in Abinde“. Über die Bedeutung dieses in samländischen Urkunden mehrfach vorkommenden „abinde“ konnte eine endgültige Lösung bisher nicht erreicht werden. Die Mühle kam dann aus kurfürstlichem Besitz in Erbpacht; mit ihren drei Mahlgängen gehörte sie in früherer Zeit zu den größeren des Samlandes. Gespeist wird sie aus den hier aufgestauten Gewässern des bei Weydehnen beginnenden Thierenberger Mühlenfließes und des, das Pokalksteiner Bruch entwässernden Baches. Das malerische Mühlwehr erinnert an vergangene Zeiten.
Aus dem Dorfe Thierenberg hervorgegangen ist das auf der Anhöhe freundlich liegende köllmische Gut Thierenberg mit einer Dampfmolkerei.
Die weiteren Ortschaften des Kirchspiels Thierenberg
An der Warnickener Kunststraße, die sich von der von Königsberg nach Pillau führenden, der ältesten des Kreises Fischhausen, abzweigt, liegt das Dorf Cojehnen, 1325 Kuyen genannt. Fast alle Grundstücke dieses Ortes liegen auf der westlichen Seite der Straße, da die östliche das Wiesental des Thierenberger Fließes einnimmt. Bemerkenswert ist ein auf dieser Wiese liegender, etwa 7 Meter langer, 4 Meter breiter und 1 Meter über die Erde hinausragender Granitfindling, der, vermutlich sehr tief im Boden steckend, wohl der größte bekannte Stein des Samlandes sein dürfte. An diesen Stein knüpft sich die Sage, daß er einst einem Riesen aus der Hand fiel, als er ihn von einer benachbarten Anhöhe zum Galtgarben werfen wollte. Unter Friedrich Wilhelm I. wurden in Cojehnen vier Kolonisten mit je 4 Hufen Land angesetzt; auffallend ist die frühere gleiche Größe der Grundstücke, deren es um 1800 zehn mit je 271 1/3 Morgen Land gab; das Vieh wurde auf die gemeinsame Dorfweide getrieben. Insgesamt umfaßt Cojehnen etwa 513 Hektar, die Einwohnerzahl betrug 1919 180 Personen. Zu Cojehnen gehört das an der Wegkreuzung der oben genannten Straße liegende Gasthaus, im Volksmund als Krug Wuppdich bekannt. Der Cojehnen gegenüberliegende 52 Meter hohe Hügel ist der Galgenberg, vermutlich die einstige Richtstätte des Thierenberger Amtes.
In dem 1310 genannten Felde Noriow liegen Dorf Norgau und Abbau oder Gut Klein Norgau mit dem ansehnlichen Umfang von insgesamt 762 Hektar und 1919 293 Bewohnern. Die zurzeit zweiklassige Schule ist von Friedrich Wilhelm I. eingerichtet; erwähnt mögen einige bei Norgau angelegte Rentengutsstellen sein. Die südlich von Norgau befindliche, etwa 60 Meter hohe Antonienhöhe dürfte der altpreußische Nyrtegarbs sein; anläßlich einiger geschichtlicher Gedenktage wurde sie von dem jetzigen Besitzer Kallens mit 103 Eichen bepflanzt. Besonders bemerkenswert aber ist der aus dem hübschen Talbett des Norgauer Fließes aufsteigende alte Burgwall, auch Hausen oder Schwedenschanze genannt, der zu den größten des Samlandes gehört. Der Umfang der Krone beträgt etwa 450 Meter, nach Westen sind die Reste eines Stirnwalles erhalten, nach Süden und Nordosten bot das sumpfige Gelände ausreichenden Schutz. Einst vielleicht im dichten Wald liegend, erscheint die Anlage wohl geeignet, um früher den Bewohnern ganzer Ortschaften als Zufluchtsort zu dienen.
Noch zum Kirchspiel gehört das Gut Düringswalde, das seinen deutschen Namen vermutlich auf einen aus Thüringen stammenden Kolonisten zurückführen kann.
Unter den nordöstlich von Thierenberg liegenden Ortschaften ist die nächste das Dorf Drugthenen, in dem 1436 ein Matthys von Drutthyn genannt wird. Eine von Giese bei dieser Ortschaft erwähnte alte Schanze dürfte die zwischen den beiden Abbauten Drugthenens südlich vom Dorf liegende Anhöhe sein. Die früher hier befindliche Dorfschule ging 1844 ein, ebenso um diese Zeit eine Unterförsterei. Recht bedeutend ist mit 457 Hektar der Flächeninhalt des Gemeindelandes, ebenso aber auch jener der beiden in der Nähe liegenden Dörfer Klein Dirschkeim und Weydehnen, von denen das erstere Dorf 747 und Weydehnen 510 Hektar besitzt. Diese Größen beweisen, was für gewaltige Landflächen dem Orden hier zur Besiedlung zur Verfügung standen, nachdem er es selbst verödet hatte. 1919 hatten Drugthenen 148, Klein Dirschkeim 201 und Weydehnen 168 Bewohner.
Klein Dirschkeim soll wie seine Namensschwester Groß Dirschkeim die Ortsbezeichnung von einem hier angesiedelten Sudauer Dirse haben. Ein Graben bei dem Dorfe führt den Namen „der Messingtrog“. Der Sage nach liegt in ihm ein großes Messinggefäß, das durch Menschenhände bisher nicht geborgen werden konnte. Den Ursprung des Namens von Weidehnen will man mit den Waidelern, den heidnischen Unterpriestern in Verbindung bringen, die hier in der Nähe Romowes ihren Wohnsitz hatten, jedenfalls deutet er auf gottesdienstliche Gebräuche oder auf Zauberei hin. Auch ein Wald bei Weidehnen führte früher den Namen Waydey; recht erheblich ist noch heute der Waldbesitz des Dorfes. Der weitaus größte Teil des Dorfes ist jetzt in einem Besitz zusammengezogen. Die zweiklassige Schule ist eine Gründung Friedrich Wilhelms I.
Die Namen der Dörfer Weidehnen und Woydiethen leiten zu dem Gütchen Romehnen hinüber, dessen als des alten Romowe und Kriwenwohnsitzes, des obersten heidnischen Priesters, an anderer Stelle bereits eingehend gedacht ist. Gerade bei diesem Ort sind die mehrfachen Besitzveränderungen in früher Ordenszeit auffallend, nachdem 1325 der Bischof Johannes dem Sudauer Stagote, wohl dem Ahn der noch im Samland vorkommenden Familie Dagott, zwei Haken im Felde von „villa Rummowe“ verliehen hatte.
Östlich der nach Warnicken führenden Kunststraße liegen die Güter Kirschappen, 1400 Kirsappen, vom altpreußischen kirsnan schwarz, bei dem früher ein großer Teich aufgestaut war, und Corwingen. Der Name dieses Gutes, ursprünglich gelegentlich der Belehnung an einen Preußen Algande im Jahre 1300 Gorowyten heißend, wechselte besonders häufig, so finden wir ihn als Jowiten, Rowiten und Carwingen wieder; er soll aus dem altpreußischen curwis=Ochse stammen. Beide Güter waren köllmischen Charakters mit gewissen adligen Rechten.
Der letzte Ort des Kirchspiels ist das Dorf Arissau, 1258 Arys, 1325 villa Hereyzowe. Arissau liegt auf der moorbedeckten Talsohle des Fließes gleichen Namens, das bei Cojehnen in das Forkener Fließ mündet. Eine zwischen Thierenberg und Jouglauken noch vor hundert Jahren befindliche Ortschaft Sundlauken ist eingegangen.