Zimmerbude

 

Erst wenn du in der Fremde bist, weißt du, wie schön die Heimat ist! Als Überlebende der großen Katastrophe 1939-1945 muß es unsere unabdingbare Aufgabe sein, so meine ich, zu versuchen, unseren Nachkommen möglichst ein glaubhaftes Bild unseres Heimatdorfes zu vermitteln, denn unsere Landsleute, die als Kinder vor 40 Jahren unser Dorf verlassen mußten, und ihre Kinder, die schon hier im Aufnahmeland geboren sind, wissen fast nichts oder nur sehr wenig über die alte Heimat.

Teil 1, Ursprung, Gründung, Geschichte

„Dort, wo im Osten die Sonne aufgeht, singen auch heute die Meere und dunklen Wälder den Choral der Zeit. Es haben in bewegten Zeiten, zu verschiedenen Zeiten, verschiedene Menschen und Völker, verschiedenartig den Choral der Zeit gesungen“. Mit diesen Zeilen beginnt Karl Zibner aus Großheidekrug sein Buch „Samländische Haffküste“, aus dem jetzt einige Auszüge folgen:

Nach alten Überlieferungen soll es in der Vorzeit ein Land Namens Witland an der südlichen Samlandküste mit den Fischerdörfern Nautzwinkel bis Tenkitten, Pillau gegeben haben, das zum Estenland gehörte. Gegenüber dem jetzigen Zimmerbude lag eine Insel, auf der die Lübecker die Burg Cerauwe (Cemrowe-Zimmerbude) bauten. Der Ordens-Chronist, Peter von Dusburg erwähnt sie 1274. Diese Inseln sind entweder gesunken oder durch die starken Strömungen der Flüsse Pregel, damals zwei Mündungen, Frisching, Widitte, Lauke und weitere kleine Fleets gleichmäßig im Haff verteilt worden. In der Nähe dieser vom Haff überspülten Inseln beabsichtigten Lübische Kolonisten, die die Bedeutung des Platzes am Ausgang eines großen Flusses wohl erkannt hatten, eine große Stadt zu erbauen, über deren Gründung zwischen dem Orden und dem Landmeister von Wilda und der Stadt Lübeck am 31.12.1242 in Thorn verhandelt wurde. Es scheint nun, daß der Orden, dem schon auf Befehl des Papstes erfolgte Landabtretung an die Bischöfe wenig angenehm war, die in Aussicht genommene Stadtgründung nicht gerne sah, wenn er sich auch sonst der Hilfe der Niederdeutschen für die Kolonisation des Preußenlandes bediente. Jedenfalls muß es Streitigkeiten gegeben haben, denn nur noch einmal hören wir von dieser Stadt der Lübecker, gelegentlich eines Schiedsspruches, den der Bischof Heidenreich con Culm im Jahre 1248 in dem Sinne abgab, daß den Lübeckern die Anlage eines „CASTRUM“ zugestanden wurde. Die Belehnung mit Land selbst wurde durch die Teilungsurkunde vom 11.3.1258 jedoch wieder aufgehoben.

Die Lübecker Burg scheint aber tatsächlich erbaut worden zu sein, denn in der obigen Teilungsurkunde wird eine Stadt gegenüber der Pregelinsel erwähnt. Auch die Chronik Dusburgs spricht noch beim Jahre 1274 von einer Brandenburg gegenüberliegenden Burg.
Die um Mitte des 15. Jahrhundert verfaßte Hochmeisterchronik bezeichnet diese Burg als Cerauwe, richtiger Cemrowe. Dies ist die erste Erwähnung Zimmerbudes, denn Cemrowe (owe-au) ist die verstümmelte Bezeichnung für Zimmerau. Dieser Name dürfte wiederum daher entstanden sein, daß in dieser waldreichen Gegend in den „Zimmerpuden“ die erforderlichen Bauhölzer für die Haffburgen hergerichtet wurden, wie dieses für Lochstädt nachweisbar ist.
Zimmerbude gehört also zu den wenigen Ortschaften des Samlandes, die ihren Namen der deutschen Kolonisation verdanken. Aus diesem alten Cemrowe entwickelte sich dann ein dem samländischen Bischof gehörendes Gut, das von dem Bischof Goerg von Polentz nach adligem Recht an Oswald von Taubenheim als Lehen vertauscht wurde. Diese Taubenheims gehörten damals zum angesehensten Adel des Samlandes und besaßen Zimmerbude bis zum Jahre 1661. Im Jahre 1669 wurde das Gut Zimmerbude dem früheren Erzieher des Königs Friedrich I., Eberhard von Danckelmann, verliehen. Dankelmann aber gab das Gut wieder ab und es wurde nun mit dem Domäneamt Caporn vereinigt und führte den Namen Caporn-Zimmerbude.

1720 bezeichnete man Zimerbude auch als „Königliches Fischergut“. Es umfaßte neben 16 Hufen Land noch den Krug, 12 Bauern und viele Fischer, die jedoch nur zum eigenen Bedarf fischen durften. Trotz dieser Beschränkung muß die Fischerei aber die ganzen Jahrhunderte lang der Hauptberuf der Bewohner gewesen sein, denn bereits im Jahre 1520 nahmen im Haff herumtreibende Danziger den Zimmerbudern fünf Seisen oder Angelkähne fort.
Die Örtlichkeit des ehemaligen Schlosses und Gutes ist nun schon seit langer Zeit von den Wellen des Haffes bedeckt. Noch bis zu unserer Zeit lebte das Andenken an dieses Gut in sagenhafter Form unter den Bewohnern fort.
Die Zahl der Einwohner Zimmerbudes betrug in den Jahren: 1820 = 388, 1844 = 460, 1858 = 634, 1905 = 797 und im Jahre 1919 = 742 Personen.
Wenn man die Herkunft der Bevölkerung an Namen identifiziert, wohnte in Zimmerbude eine Mischbevölkerung. Es waren Wikinger (Normannen), Lübische Altpreußen, Litauer, Letten, Esten, Finnen, Polen. Bei der Ansiedlung der Hugenotten um 1685 durch den Kurfürsten Friedrich Wilhelm und den Einzug der Salzburger um 1732 unter dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. sind auch viele in den Haffdörfern seßhaft geworden. Die Namen beweisen es.

Teil 2, 1945, Lage, Größe, Besonderheiten

Zimmerbude, auf tiefstem Sandboden, langestreckt, herrlich eingebettet: Im Norden vom Fischhausener Stadtwald mit 1032 ha, der durch das Gründungsprivileg vom 19.8.1305 den Bürgern zur Holznutzung überlassen war, wurde 1875 Eigentum der Stadt Fischhausen. Bäume, Kiefern, Fichten, Tannen von 30 Metern Höhe waren keine Seltenheit. Die Försterei für den Stadtwald war in Peyse. Gründungsjahr von Peyse ist auch 1305. An den Stadtwald schloß sich der Kobbelbuder Staatsforst mit Försterei in Neplecken und Oberförsterei in Kobbelbude sowie die Bludauer Heide an, mit einer eigenartigen größeren Kuppenlandschaft (gelbe Berge), in der man bis hierher erstreckenden Leitungsgräben des Königsberger Abwasserkanals in etwa 1 Meter Tiefe auf reichlich vorkommende Blaueisenerde, einem wasserhaltigen Eisenphosphat, das in der Luft eine blaue Farbe annimmt und sich als Anstreichmittel verwenden ließ, gestoßen ist.
Der Abwässerkanal (Vorflutkanal) wurde 1901 fertiggestellt. Er führte über 8,5 Kilometer Länge, abgedeckt durch das Stadtgebiet von Königsberg, der Rest von 21,14 Kilometer in offener Bauweise bei Neplecken in das Frische Haff. Der Geruch (Gestank) war oft auch bei uns spürbar vom „Schietkenoal“ und ein guter Wetterprophet, denn meistens gab es danach Sturm und Regen. Große Beunruhigung in den Haffdörfern verursachte die in den 20-/30er Jahren auftredende Haffkrankheit, und daß Pflanzen- und Fischvergiftungen auftraten, die auf mitabgewässerte Zellulose zurückgeführt wurden. Trotz Protest und eingesetzten Untersuchungskommissionen wurde man mit diesen Schwierigkeiten nicht restlos fertig.
Im Osten durch das etwa 30 Kilometer lange Laukefließ, das sich kaum über den Spiegel des Haffes erhebend, in dieses einmündet. Vorgelagerte, moorige, meist mit Erlen bestandene Wiesen und Weiden sind Bild dieser melancholischen Landschaft.

Im Süden vom Frischen Haff und dem am 15.11.1901 in Betrieb genommenen Königsberger Seekanal mit 33 Kilometer Länge und Anfangstiefe von 6,50 Meter. Im Jahre 1929 erfolgte die Vertiefung auf 8 Meter und eine Sohlenbreite von 47,5 Meter. Der Kanal war zweiseitig und durch 70 Leuchtfeuer auch nachts befahrbar. Im Winter wurde die Fahrrinne durch die Eisbrecher Königsberg, Pregel und Ostpreußen freigehalten. Zimmerbude und Großheidekrug bekamen einen Hafen und mit Peyse Dampferanlegestellen.
Der Strand vor Zimmerbude und dem Seekanal war im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel und Freibadplatz. Hier konnte man auch aus allernächster Nähe die vorbeifahrenden Binnen-, Küsten-, See-, und Kriegsschiffe sowie die vielen Ausflugsdampfer beobachten. Im Winter auf dem Eis lief man Schlittschuh und fuhr mit dem Schlitten.
Südliche Begrenzung des Seekanals war ein 26 Kliometer langer Kanaldamm mit einem um 80 Zentimeter über dem gewöhnlichen Haffspiegel liegenden Steindamm von 1,50 Meter Breite und Durchlässen für Fischerboote von 30 Metern in den Haffdörfern. An der Haffseite des Kanaldammes befindliche Sandanlandungen waren mit Gras, Sträuchern und Bäumen bewachsen und boten eine ausgezeichnete, störungsfreie Nist- und Brutstätte für alle Vogelarten. Auch Wild, sogar Elche wurden hier beobachtet. Sie konnten nur schwimmend diese Stätten erreichen. Damit die Fischer im Winter das Haff für die Eisfischerei erreichen konnten, benutzten sie zur Überquerung der offenen Fahrrinne Eisfähren, die mit Pferde- und Menschenkraft bedient wurden.

Im Westen durch das gewaltige, im Jahre 1938 erbaute, kohlenbeheizte Kraftwerk Peyse des Ostpreußenwerks mit 2 Schornsteinen und einem Industriehafen mit moderner Kohlenentladungseinrichtung für Seesichiffe. Der erste Strom wurde 1940 erzeugt. Bis zum Jahresende 1944/45 waren dort drei Dampfturbosätze mit insgesamt 85000 Kilowatt in Betrieb, der vierte Satz von 35000 Kilowatt befand sich in der Montage. Westlich von Zimmerbude lag auch der neue Bahnhof Peyse.
1941 hatte Zimmerbude etwa 1200 Einwohner. Durch eine Gebiets- und Verwaltungsreform wurden 1937/38 die bis dahin selbständigen Gemeinden Neplecken, Peyse und Zimmerbude und er Stadtwald Fischhausen als Enklave zu einer großen Gemeinde Peyse mit dem Sitz in Peyse, die hauptamtlich verwaltet wurde, zusammengeschlossen. Durch die Eingemeindung wurde gebietsmäßig der Stadtwald wieder der Gemeinde zugeführt, wo er eigentlich schon immer hingehörte. Eigentümer und Nutzungsberechtigter blieb natürlich die Stadt Fischhausen. Die Großgemeinde Peyse hatte 1939 = 2196 Einwohner und war 2224,9 ha groß. 1945 soll die Gemeinde über 4000 Einwohner gehabt haben.
Verkehrsmäßig war Zimmerbude sehr gut versorgt, und zwar durch
a) Schiffsverbindung von Peyse über Zimmerbude (Hafen), Großheidekrug nach Königsberg (Pr.),
b) die neue Bahnverbindung vom Bahnhof Peyse über Powayen nach Königsberg oder in die andere Richtung über Powayen nach Fischhausen und Pillau,
c) Omnibusverbindung von Peyse über Zimmerbude, Widitten, Großheidekrug nach Königsberg,
d) Straßenverbindung nach Widitten zur Reichsstraße Pillau – Fischhausen – Bludau – Kobbelbude – Großheidekrug – Vierbrüderkrug – Moditten – Juditten – Königsberg oder über Peyse – Neplecken nach Fischhausen.

Das war in zusammengeraffter Form ein Überblick von Zimmerbude.

Fritz Kulsch

Aus dem Heimatbrief 88.Folge Winter 1985